Hamburg, 30.01.2022 – Smarte Algorithmen sorgen auf Streaming-Plattformen wie Spotify, Deezer, Soundcloud, YouTube und Co. dafür, dass User nur die Musik zu hören bekommen, die ihnen gefällt. Der gut gemeinte Service hat aber eine widerliche Kehrseite. Denn die Algorithmen dieser Plattformen verbreiten aktiv faschistisches Gedankengut. Wer einmal eine der vielen rechten Bands hört, die auf diesen Plattformen vertreten sind, bekommt immer mehr rechte Musik vorgeschlagen. Ein Teufelskreis, den der Verein „Laut gegen Nazis“ jetzt mit der trojanischen Band
„Hetzjaeger” durchbricht und beweist: Die Plattformen sind nicht machtlos gegen rechte Bands – es wird höchste Zeit, dass sie ihrer Sorgfaltspflicht nachkommen.
So einfach haben es rechte Bands auf Streaming-Plattformen
Übermensch, Feindnah, Faust, Exzess, Green Arrows – so heißen nur ein paar der rechten Bands, die in den Katalogen von Spotify, Deezer, Soundcloud und Co. zu finden sind. Wer sich auf die Suche macht, findet in kürzester Zeit jede Menge Beispiele von Bands und Playlisten, die keinen Hehl aus ihrer Gesinnung machen. Die Anbieter:innen selbst tun wenig dagegen und verlassen sich stark auf ihre User:innen, diese Bands zu finden und zu melden. Selbst eine Bewerbung solcher
Songs ist z.B. auf Spotify und YouTube problemlos möglich, wie das Projekt von „Laut gegen Nazis“ zeigt. Jörn Menge von „Laut gegen Nazis“: „Den meisten rechten Bands dürfte das Budget fehlen, um Werbung zu schalten, aber das die Möglichkeit dazu überhaupt besteht, ist erschreckend und zeigt, wie wenig die Plattformen kontrollieren.“ Die Streaming-Riesen machen es rechten Bands also sehr leicht und geben ihnen eine Bühne. Schlimmer noch: Die Algorithmen verbreiten die Musik aktiv.
Die Algorithmen werden zum Antifaschisten
„Laut gegen Nazis” hat in einem Pilotprojekt diese Algorithmen so smart manipuliert, dass sie gegen die Nazibands arbeiten. Dazu gründeten sie die vermeintlich rechte Band „Hetzjaeger“ – mit ihrer Debutsingle „Kameraden“. Veröffentlicht wurde aber zunächst nur eine Hörprobe. Ein Teaser, der Interesse wecken sollte. Erst am 30.
Januar, in einem Livestream auf Telegram, sollte es das komplette Stück und Musikvideo zu sehen geben. Darin wird in der 2. Strophe schnell klar: Diese Band war nicht angetreten, um rechte Musik im Netz zu revolutionieren, sondern endlich zu beenden. Statt dunkler Outfits und Dobermann-Masken sieht man plötzlich knallbunte Farben und lustige Tier-Masken. Statt nächtlichen Fackelzügen durch einen bedrohlichen Wald tanzt eine Gruppe junger Menschen wild im Strobolicht.
Der Song und die Band wurden so konzipiert, dass sie die Parameter der Algorithmen perfekt bedienten. Dazu muss man wissen, wie diese funktionieren: Die Algorithmen empfehlen Bands basierend darauf, wie ähnlich sie den Lieblingskünstler:innen der Hörer:innen sind. Wichtig sind dabei neben Klang und Texten auch das optische Auftreten, von wem sie gehört werden und welche Künstler:innen gemeinsam mit ihnen gehört werden. Auf all diese Parameter wurde „Hetzjaeger“ und die Hörprobe von „Kameraden“ optimiert.
Jörn Menge von „Laut gegen Nazis“ über den Prozess: „Wir haben zunächst die beliebtesten Rechtsrock-Stücke und -Bands eindringlich untersucht und wiederkehrende Charakteristika und Eigenheiten herausgearbeitet. Mit gezielter Bewerbung der Hörprobe auf den Plattformen haben wir dann dafür gesorgt, dass Fans anderer Rechtsrock-Bands den Song von „Hetzjaeger“ zu hören bekamen.“ So wurden sie den Fans rechter Bands automatisch empfohlen – zum Beispiel im Mix der Woche, in Shuffle Playlisten oder in den Neuerscheinungsempfehlungen. Zusätzlich dazu wurden auf allen großen Social Media-Plattformen Profile angelegt.
Die Mechanik geht auf
Die Band wird schnell angenommen, auf Telegram finden sich sogar Unterstützer:innen, die die Links in ihren eigenen Kanälen verbreiten. Binnen weniger Tage wurde die Hörprobe auf Spotify, Soundcloud und anderen Plattformen tausendfach abgespielt. Nach kurzer Zeit haben über 75.000 Personen das Teaser- Video auf YouTube angesehen. Selbst als Spotify auf Druck von Links und Presse den Song zeitweise abschaltet, wird sofort im Telegramchat von rechten Fans Deezer als Ausweichmöglichkeit empfohlen. Die Spannung auf den kompletten Song steigt in der
Szene ins Unermessliche. Eigentlich soll die Aktion mit dem kompletten Song und Musikvideo live auf Telegram aufgelöst werden, doch es kommt anders: Ein rechtes Netzwerk hat große Angst vor der Veröffentlichung. Sie nutzen eine Sicherheitslücke bei Youtube aus, um das ganze Lied vor Veröffentlichung zu verbreiten – und verteilen es großflächig in der Szene: „(…)- vor 18:18 Uhr muss das jeder gehört haben.“ Dass sie der Idee damit noch einen finalen Schub geben, wussten die Rechten nicht. Denn dieser Aufruf führt dazu, dass der finale Song tausendfach von genau den richtigen Menschen gehört wird und der Algorithmus in seiner Einschätzung zementiert wird:
„Hetzjaeger“ und das Lied „Kameraden“ ist von höchstem Interesse für die rechte Szene – also wird es bevorzugt empfohlen.
Das Ergebnis
Mit der Aktion zeigt „Laut gegen Nazis“, wie einfach es die Streaming-Plattformen und Algorithmen machen, rechte Musik im Netz zu verbreiten, – aber auch, dass man nicht tatenlos zusehen muss. „Laut gegen Nazis“ fordert von Spotify, Soundcloud, Deezer, YouTube, Amazon Music, Apple Music und allen anderen endlich konsequent gegen rechte Musik auf ihren Plattformen durchzugreifen.
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Über „Laut gegen Nazis“
„Laut gegen Nazis“ e.V. wurde 2004 auf St. Pauli gegründet und stellt sich dem weiter wachsenden Rechtsextremismus aktiv entgegen. Sie unterstützen Initiativen und Bündnisse gegen Rechts bei der Öffentlichkeitsarbeit, bilden Netzwerke und bieten kontinuierliche Beratung und Begleitung bei Veranstaltungen vor Ort. Sie nutzen die Popularität ihrer Partner aus Musik, Sport, Schauspiel und Gesellschaft, um die Menschen für das Thema zu sensibilisieren und eine bessere Verhandlungsgrundlage mit der Politik zu schaffen. „Laut gegen Nazis“ betreibt außerdem den „Laut gegen Nazis“-Podcast.